Neuralrohrdefekte wie die Myelomeningozele, die in der Regel mit einem Folsäuremangel in Verbindung gebracht werden, können auch genetische Ursachen haben. Das „Spina Bifida Sequencing Consortium“ berichtet in Science (2024) über einen Gendefekt auf dem Chromosom 22.

Etwa 1 von 2.500 Kindern wird mit einer Myelomeningozele geboren. Bei dieser schweren Form einer Spina bifida stülpen sich neben den Meningen auch Teile des Rückenmarks nach außen, was häufig zu einer Querschnittlähmung führt. Eine Ursache ist ein Mangel an Folsäure. Zu den weiteren Ursachen gehört eine genetische Prädisposition, die auf 70 % geschätzt wird. Ein internationales „Spina Bifida Sequencing Consortium“ (deutsche Beteiligung Universität Köln) hat sich auf die Suche nach den verantwortlichen Gendefekten begeben. Sie konzentriert sich auf die Myelomeningozele, weil es die schwerste Form ist und hier am ehesten Gendefekte vermutet werden.

Das Team um Joseph Gleeson von der Universität von Kalifornien in San Diego hat bei 715 Kindern und beiden Elternteilen das Exom sequenziert. Bei 6 Patienten fanden die Forscher eine Deletion im langen Arm des Chromosoms 22q11.2. Diese Deletion war fast 23 Mal häufiger als in der Normalbevölkerung. Ähnliche Deletionen fanden die Forscher bei weiteren Patienten, die außerhalb der Studie untersucht wurden.

Deletionen im Bereich von 22q11.2 sind eine bekannte Ursache des DiGeorge- Syndroms, das ebenfalls zu den embryologischen Fehlbildungen gehört: Eine Entwicklungsstörung der 3. und 4. Schlundtasche führt hier zu Fehlbildungen in Gesichtsknochen, an Herz und großen Gefäßen sowie zu einer Anlagestörung von Nebenschilddrüsen, Thymus und Nieren. Die Recherchen von Gleeson ergaben, dass in einer früheren Kohorte 8 von 1.522 Kindern mit bestätigter Deletion von 22q11.2 eine Myelomeningozele hatten und damit 12,28- bis 15,54-fach häufiger als erwartet. Beim DiGeorge-Syndrom fehlen zwischen 1,5 bis 2,5 Basenpaare auf dem Chromosom 22. Auf diesem Abschnitt befinden sich 10 Protein-kodierende Gene. Bei den Patienten mit Myelomeningozele war immer das Gen CRKL betroffen (während für ein DiGeorge-Syndrom andere Gene ausfallen müssen).

Experimente an Knock-out-Mäusen bestätigten den Verdacht, dass Defekte im CRKL-Gen für die Myelomeningozele verantwortlich sind. Die Entfernung des Gens löste bei den Mäusen eine Exenzephalie aus – eine extreme Variante der Spina bifida. Die genetische Penetranz war mit 1,9 % gering. Bei einem Entzug der Folsäure stieg sie auf 37,5 % an. Offenbar verstärken sich Gendefekt und Folsäuremangel. Der genaue Pathomechanismus ist noch ungeklärt.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt